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Ritzen, Schneiden, Brennen – Warum junge Menschen sich selbst verletzen

Hinter einer Selbstverletzung steckt nicht immer eine Suizidabsicht, aber in jedem Fall ein Hilferuf, der Aufmerksamkeit bedarf.

Immer wieder ritzt sich Petra (13) mit der Rasierklinge in den Unterarm. Die blutenden Striche reihen sich neben schon verheilte Narben. „Danach fühle ich mich besser. Schmerzen empfinde ich kaum“, erklärt sie. Selbstverletzendes oder autoaggressives Verhalten nennen es Psycholog:innen, wenn Menschen sich absichtlich Wunden zufügen. Dazu gehören Schnitte mit dem Messer oder anderen Klingen, Verbrennungen mit dem heißen Bügeleisen oder das Ausdrücken von Zigaretten auf der Haut. Von selbstverletzendem Verhalten spricht man, wenn die Verletzungen sozial nicht akzeptiert sind und ohne Suizidabsicht vorgenommen werden. „Das bedeutet, dass Piercing, Branding, Dermal Anker und andere Formen der Body-Modification nicht dazu zählen“, führt Professor Dr. Paul Plener, leitender Oberarzt an der Universität Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, aus.

Kontrolle über die eigenen Gefühle gewinnen

Studien zeigen, dass sich etwa 20–25 % der Jugendlichen in Österreich und Deutschland zumindest einmal selbst verletzt haben. Einige jedoch (ca. 4 %) verletzen sich selbst über Wochen, Monate und Jahre mit Absicht selbst. Besonders häufig betroffen sind Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren. Diese Handlungen sind für Außenstehende meistens unverständlich, erfüllen aber für die Betroffenen ganz bestimmte Funktionen. Hinter leichten Formen steht vor allem die Absicht, den eigenen emotionalen Zustand zu verändern oder zu stabilisieren. Die Betroffenen wollen sich zum Beispiel stärker selbst wahrnehmen, wollen körperlichen Schmerz spüren, wenn ihnen ihr seelischer Schmerz zu viel wird. Sie wollen Wut abreagieren, wollen die Kontrolle über sich selbst behalten oder sich bestrafen. Selbstverletzung ist dann eine Form der Verarbeitung von Problemen oder von Aggressivität und zugleich ein Ventil für negative Gefühle. Ein anderes Motiv kann sein, dass die Betroffenen auf ihre Situation aufmerksam machen oder die Dynamik von Beziehungen beeinflussen wollen. Es kann auch vorkommen, dass selbstverletzendes Verhalten in einer Gruppe plötzlich als schick gilt, es nachgeahmt wird, um zu beeindrucken und dazu zu gehören. „Die häufigste Absicht, die mit diesem Verhalten einhergeht, ist jedoch die Reduktion von unangenehmen, negativen Gefühlen. Spannung und innerer Druck werden abgebaut“, erklärt Professor Dr. Plener. „Ritzen und Schneiden werden zur Lösung und nicht selten zur Sucht.“

Vielfältige Auslöser

Gründe für selbstverletzendes Verhalten gibt es viele. Vielfach spielt eine depressive Entwicklung eine Rolle. Auch Störungen in der Kindheit und traumatische Erlebnisse können Ursachen sein, wie zum Beispiel der Tod einer wichtigen Person, die Trennung der Eltern, Probleme mit Freund oder Freundin, Mobbing oder sexueller Missbrauch. Eltern, Pädagog:innen und Freunde fühlen sich durch selbstverletzendes Verhalten meist irritiert, überfordert oder verängstigt. Wie reagiert man aber richtig? Professor Dr. Paul Plener nennt es „respektvolle Neugier“. Es gilt vor allem zuzuhören, die Gefühle ernst zu nehmen und kein vorschnelles Urteil zu fällen. Aussagen wie „Das macht kein normaler Mensch“ oder „Du willst nur Aufmerksamkeit“ sind vollkommen fehl am Platz.

Selbstverletzung und Suizid

Natürlich stellt sich auch immer die Frage, ob Selbstverletzungen nicht auch ein suizidales Verhalten sind. Selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität haben eine Gemeinsamkeit: Sie können als fehlgeleitete Lösungsversuche für Probleme und Herausforderungen gesehen werden und die Betroffenen brauchen Unterstützung. Es gibt keine klare Abgrenzung. Selbstverletzung ist nicht in jedem Fall ein Zeichen für Suizidneigung, doch hinter lebensbedrohlichen Formen steht meistens eine konkrete Suizidabsicht. Selbstverletzendes Verhalten ist immer ein Hilferuf, der eine Reaktion vom Umfeld fordert. Professionelle Abklärung und Unterstützung können dabei helfen, mit dieser herausfordernden Situation gut umzugehen.

Weitere Informationen auch unter www.bittelebe.at